Blog für die Seele – 6. April 2020

„Oft sehe ich in dem armen, seines Verstandes beraubten Menschen den Vater früherer Tage. Wenn die Augen klar blicken und er mich anlächelt, was ja zum Glück sehr oft geschieht, dann weiß ich, dass sich auch für ihn mein Besuch gelohnt hat.
Oft ist es, als wisse er nichts und verstehe alles.
Einmal, als ich ihm die Hand gab, bedauerte er mich, weil die Hand kalt war, ich sagte, ich käme von draußen aus dem Regen. Er behielt meine Hand zwischen seinen Händen und sagte:
„Ihr könnt tun, was ihr zu tun habt, ich werde derweil diese Hand wärmen.“
(Arno Geiger, Der alte König in seinem Exil, München 2011)
„Der alte König in seinem Exil“, so lautet der Titel eines berührenden Buches des österreichischen Schriftstellers Arno Geiger, das von den Begegnungen mit seinem demenzkranken Vater handelt. In diesen Pandemie-Zeiten führt uns die Rede von dem alten Mann im Exil (!) sofort das Bild so vieler alter Menschen vor Augen, die nun, um vor dem Kontakt mit dem für sie gefährlichen oder sogar todbringenden Virus geschützt zu werden, getrennt von ihren Kindern, alleine in ihren Eigen- und Seniorenheimen sitzen und denen wir nicht die Hand wärmen können…Gerade Kinder geben alten Menschen so viel Trost und Wärme. Die Bilder von den „exilierten“, eingeschlossenen Senioren und der wärmenden Hand, die intuitiv das Notwendige und Mögliche tut, können uns aber auch Antrieb sein, das Mögliche zu tun und „neue Wege des Händewärmens“ zu gehen: Ein „richtiger“ Brief, von den Enkelkindern geschrieben, ein Anruf, eine Audio-Botschaft, ein gesungenes Ständchen unter dem Fenster oder per Videobotschaft über den messenger, ein mit dem Smartphone gedrehter kurzer Familienfilm: „So sieht es gerade bei uns zu Hause aus…“, ein selbst gebackener Kuchen… „Der alte König“ hat intuitiv verstanden, worauf es ankommt – und dafür braucht es weniger Verstand denn Herz. Und: „Das Herz muss Hände haben!“, wie uns eine tibetische Weisheit vermittelt…
Der Blog für die Seele wurde für die Zeit der durch das Coronavirus eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten eingerichtet.
Die Kolleginnen und Kollegen der Fachschaften Religion und die Schulseelsorge möchten allen Homepagebesuchern hier in regelmäßigen Abständen einen kleinen Gedanken, ein Gebet, ein Bild, eine „Streicheleinheit“ für die Seele schenken. Sie wollen gute Nachrichten sein.
Der Blog erscheint montags, mittwochs und freitags. Am Palmsonnstag, Gründonnerstag, Karfreitag und an den Ostertagen wird es ebenfalls einen Beitrag geben.