Blog für die Seele – 15. April
„Schwarz. Absolut schwarz. Kein Lebenszeichen mehr auf dem Bildschirm, kein leises Brummen mehr im Gerät. Am Abend des 22. Dezember gab mein Notebook ohne Vorwarnung auf. Kein Zugang mehr zu meinen Arbeitsunterlagen, zu Fotos und Mails, zum Bankkonto oder zu meiner Musik. Zu tausend Erinnerungen und bedachten Plänen.
Verzweifelt und nass geregnet stand ich am nächsten Morgen noch vor der Ladenöffnung des PC-Reparaturservice im unwirtlichen Industriegebiet meiner Stadt. Punkt neun öffnete mir der Techniker Andrej am letzten Arbeitstag vor Weihnachten mit einem herzlichen Lächeln die Tür. „Sie kennen sich bestimmt mit Problemen aus“, stolperte ich hinein: „Meines ist groß.“ Als erste Reaktion lud er mich auf einen heißen Kaffee in seine Werkstatt ein. Dann sah er mich mit warmen Augen an. „Wissen Sie“, formulierte er bedacht mit polnischem Akzent, „wenn Sie ein Problem haben, müssen Sie beten. Aber wirkliche Probleme gibt es im Leben zum Glück nur ganz wenige. Dies hier ist kein Problem. Es ist eine Situation. Und für eine Situation gibt es Lösungen.“ Wir schwiegen. Dann begann er zu arbeiten. In mir wurde es ganz ruhig – und ich ging.
Mein Notebook konnte Andrej nicht retten. Aber alle darauf gespeicherten Daten. Und er schenkte mir eine neue Sicht: „Nur eine Situation…Lösungen…“ – wie oft habe ich das seitdem innerlich gemurmelt. Und beherzigt.“
(Inken Christiansen, in: Der andere Advent, 2017/18)
„Schwarz. Absolut schwarz.“ „Kein Zugang mehr…“ Solcherlei „Ausfälle“ passen nicht in unsere schön geschmiedeten Pläne, das war nicht vorgesehen, das irritiert und verunsichert uns, wieso denn gerade jetzt, verdammt!? Wir sehen (schnell) schwarz. Ein Riesenproblem…! Problem? Nein, sagt Andrej, eine, wenn auch nicht wünschenswerte, Situation, für die man Lösungen finden kann. Was er nicht schafft: Alles wieder so herzustellen, wie es vorher war, das Notebook ist und bleibt kaputt. Was er schafft: Schadensbegrenzung und die Rettung des Herzstücks: alle gespeicherten Daten. Was er vor allem schafft: Durch Gelassenheit, Zuwendung, Pragmatismus und eine weitertragende, zupackende Lebensphilosophie die „Getroffene“ zu stärken und ihr ZuverSicht mitzugeben.
Es ist nicht allgemein und pauschal zu beurteilen, ob die Bedingungen, unter denen die Menschen weltweit derzeit angesichts der „Corona-Zeiten“ leben, im Sinne Andrejs eine „Situation“ oder ein Problem sind. Je nach Existenz- und Gesundheitsrisiko wird es für die einen, die womöglich ohnehin nicht schon zu den vom Leben Begünstigten zählten, ein gravierendes Problem (bei dem hoffentlich nicht nur „beten“, sondern Solidarität und staatliche Unterstützung hilft), für die anderen eine Situation sein, für die es Lösungsmöglichkeiten im Sinne einer Schadensbegrenzung gibt.
Uns Deutschen wird häufig eine Neigung zum Problematisieren nachgesagt. Der Fokus auf PROBLEME und das schnelle Reden von Problemen können lähmen. Und viel zu oft wird schon von Problemen gesprochen, wo uns Steine vor die Füße rollen, die beherzt weggeschafft oder doch zumindest besser verkraftet werden könnten. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben zweifellos eine globale Größenordnung, die uns in einer Dimension herausfordert und unsere Freiheit einschränkt, wie die meisten von uns es bisher nicht erlebt hatten. Aber die Konsequenzen sind nicht für alle gleich: Für viele von uns ist es eine Situation, für die es Lösungen gibt: Unterricht – digital statt im Klassenraum, Lieferservice der Restaurants und Einzelhändler, soziale Begegnungen per Videochat, Filme der Enkelkinder für Oma und Opa, Hauskonzerte bekannter Bands im Internet. Live wäre alles schöner, klar. Aber das sind doch immerhin Möglichkeiten! Als meine Nachbarn letzte Woche ihr Fenster öffneten und Tobias mit seinen zwei Töchtern mit Saxophon und Schlagzeug „Freude schöner Götterfunken“ spielte – und die Antwort per Blasinstrument aus dem geöffneten Fenster des gegenüber liegenden Hauses erschallte…, als unsere europäischen Nachbarn in Italien auf den Balkonen und aus den Fenstern heraus sangen, als der Bürgermeister einer Kleinstadt den älteren Menschen die Einkaufstüte an den Zaun hängte…, als die Idee geboren wurde, sich in diesem Forum „Geschichten“ und Worte zu schenken… waren das für mich herrlich kreative und herzerwärmende Lösungen/Maßnahmen der Verbundenheit gegen die Isolation. Natürlich, keine Lösung gegen das Virus – aber: zupackende Schadensbegrenzung. Ich glaube, Andrej hätte das auch gefallen…
Der Blog für die Seele wurde für die Zeit der durch das Coronavirus eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten eingerichtet.
Die Kolleginnen und Kollegen der Fachschaften Religion und die Schulseelsorge möchten allen Homepagebesuchern hier in regelmäßigen Abständen einen kleinen Gedanken, ein Gebet, ein Bild, eine „Streicheleinheit“ für die Seele schenken. Sie wollen gute Nachrichten sein.
Der Blog erscheint montags, mittwochs und freitags. Am Palmsonnstag, Gründonnerstag, Karfreitag und an den Ostertagen wird es ebenfalls einen Beitrag geben.